Roter Treff: Gesundheitsreform kritisch beurteilt
Leni Breymaier kritisierte die Eckpunkte der Großen Koalition
08.8.2006 - Harald Kraus
Mit den von der Großen Koalition in Berlin verabschiedeten “Eckpunkten zur Gesundheitsreform“ setzte sich die Regionalrätin und stellvertretende DGB-Landesvorsitzende Leni Breymaier beim Roten Treff der Eislinger SPD auseinander. Sie zog das Resümee: „Besser keine Reform als eine solche!“. Außer Frage stand für sie aber, dass bei der Qualität und der Wirtschaftlichkeit sowie in Finanzierungsfragen im Gesundheitswesen Reformbedarf vorhanden ist.
Breymaier stellte eingangs fest, dass die paritätische und solidarische Finanzierung der Krankenversicherung erhalten und ausgebaut werden müsse. Das Kernproblem sei, daß die Einnahmebasis immer weiter schmelze, weil die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung seit Jahren dramatisch wegbreche. „Um das Gesundheitswesen auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen, muss die solidarische Finanzierung ausgeweitet und die Private Krankenversicherung in einen Finanzausgleich mit der Gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden“, sagte die Gewerkschafterin. Ein solcher Finanzausgleich müsse die sehr unterschiedlichen Risikostrukturen der Krankenkassen berücksichtigen. Ferner sei es erforderlich, die Qualität der Versorgung zu verbessern sowie die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu erhöhen.
„Die zentralen Probleme des
Gesundheitswesens werden nicht gelöst“
„Bei einer Modernisierung der Strukturen und der Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung kommt es besonders darauf an, den Versicherten mehr Transparenz über Versicherungsschutz und Leistungen zu verschaffen“, betonte Leni Breymaier. Mit den von der Koalition vorgelegten Eckpunkten würden die zentralen Probleme des Gesundheitswesens nicht wirklich gelöst. Eine Stärkung der Finanzierungsgrundlagen werde nicht erreicht sondern vielmehr in Frage gestellt.
„Verlierer diese Gesundheitsreform, wird sie Gesetz, sind die Versicherten, Gewinner die Arbeitgeber, die private Versicherungswirtschaft und die Ärzte“, lautete die Schlussfolgerung Breymaiers aus ihrer Analyse des Koalitionspapiers. Die Ungleichbehandlung gesetzlich und privat Versicherter werde nicht aufgehoben und die Ausgabensteigerungen einseitig auf die Versicherten abgewälzt. Für das Jahr 2007 stünde zudem eine Anhebung der Beiträge ins Haus, die, so Breymaier, „durch eine verlässliche Politik hätte vermieden werden können.“
Statt die Finanzierungsgrundlagen zu verbreitern, worunter Breymaier den Wegfall der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze versteht, sollen der Gesetzlichen Krankenversicherung in hohem Maße Steuermittel entzogen werden. Sie befürchtet, dass der Druck auf den Leistungskatalog für gesetzlich Versicherte zunimmt und die geplanten Wahltarife in Kombination mit Kostenerstattung und Selbstbehalten ein Einfallstor für private Zusatzversicherungen darstellen. Insbesondere kranke und ältere Versicherte hätten dann das Nachsehen, weil sie nur zu stark erhöhten Tarifen in die privaten Zusatzversicherungen aufgenommen würden.
„Der Beitrag der Arbeitgeber soll eingefroren werden“
Kritik übte Breymaier auch an dem Vorhaben, die Arbeitgeber künftig nicht mehr an den Ausgabensteigerungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen. „Der Arbeitgeberbeitrag soll de facto eingefroren werden“, sagte Breymaier. Die private Versicherungswirtschaft könne sich hingegen freuen, weil ihr Geschäftsmodell in der bisherigen Form erhalten bleibe. Die niedergelassenen Ärzte hätten bei Umsetzung der Eckpunkte den Vorteil, dass ihre Budgets angehoben werden und sie die Möglichkeit erhielten, künftig für bestimmte Behandlungen Zuschläge zu erheben.
Breymaier, stellvertretende Landesvorsitzende des DGB Baden-Württemberg, forderte die Große Koalition zum Verzicht auf die Einführung des Gesundheitsfonds, den sie als „kompletten Unsinn“ bezeichnete, auf. Dieser sei untauglich für die Lösung der Finanzprobleme des Gesundheitswesens und schaffe mehr Probleme als er lösen könne. Er stärke insbesondere die Einnahmebasis nicht. „Diesen Gesundheitsfonds braucht kein Mensch“, kritisierte die SPD-Regionalrätin das Berliner Vorhaben. Einen Zusatzbeitrag für die Versicherten lehnte sie entschieden ab, weil er einen weiteren Schritt in Richtung Privatisierung der Gesundheitsrisiken sei. „Der DGB fordert eine angemessene Steuerfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Leistungen, auf die man sich verlassen kann“, betonte Breymaier. Sie werde sich weiterhin für eine wirkliche Bürgerversicherung einsetzen, die nicht – wie die Eckpunkte – alles verwässere und verschleiere.
Abbau von Bürokratie wird mit Gesundheitsfonds nicht erreicht
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Meinung vertreten, dass die deutsche Sozialversicherung nicht an zu hohen Ausgaben, sondern an zu niedrigen Einnahmen leide. Private Versicherungsunternehmen, so die Kritik, redeten die gesetzliche Rente kaputt und würden von manchem Wissenschaftler unterstützt. Dabei stünden ausschließlich deren privatwirtschaftliche Interessen und kein solidarischer Gedanke im Hintergrund. Dass die Reform die paritätische, das heißt gemeinsame und gleichberechtigte Finanzierung der Beiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aufheben und den Arbeitgebern einen Vorteil von 0,9 Prozentpunkten verschaffen will, stieß auf herbe Kritik. In der Einführung des Gesundheitsfonds mit zentralem Beitragseinzug liege kein Bürokratieabbau sondern das Gegenteil, da die Krankenkasse parallel dazu wegen des Einzugs der „kleinen Kopfpauschale“ bzw. der Auszahlung von Überschüssen weiterhin einen entsprechenden Apparat vorhalten müssten. „Das ist offensichtlich nicht wirklich zu Ende gedacht worden“, meinte Pressereferent Harald Kraus.
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